Rico, Oskar und die Tieferschatten
Dass ich mal meinem Sohn ein Buch aus der Schultasche fischen würde, weil ich nicht will, dass er es in der Pause liest – das hätte ich auch nicht gedacht.
Normalerweise freue ich mich, wenn er zu Büchern greift. Besonders wenn es sich ausnahmsweise einmal nicht um Comics handelt. Und wenn ihn das Buch dann auch noch so sehr in den Bann schlägt, dass er seine kostbare Pause dafür opfern will – müsste man das nicht feiern?
„Rico, Oskar und die Tieferschatten” habe ich ihm trotzdem wieder aus dem Ranzen geklaubt. Einfach, weil ich nicht wollte, dass er es ohne mich weiterliest. Mich hat es nämlich genauso gefesselt wie ihn, was aber übrigens keine große Überraschung ist: Das Buch wurde 2009 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, der Autor vier Jahre später mit demselben Preis für sein Gesamtwerk geehrt, dazwischen und danach gab es zahlreiche weitere namhafte Preise, die Kritik bejubelt Andreas Steinhöfel als „den großen Erneuerer in der Kinder- und Jugendliteratur der vergangenen zwei Jahrzehnte”, der Stoff kam mit Karoline Herfurth, Axel Prahl und Ronald Zehrfeld in den Hauptrollen ins Kino – da darf man schon was erwarten.
Die Geschichte ist aus der Perspektive von Rico geschrieben. Der Förderschüler ist ein nach eigener Auskunft „tiefbegabtes” Kind mit Konzentrationsschwäche und eigentlich davon überzeugt, gar nicht erzählen zu können: „Meistens verliere ich den roten Faden”, sagt er über sich selbst, „jedenfalls glaube ich, dass er rot ist, er könnte aber auch grün oder blau sein, und genau das ist das Problem.”
Das ist so erfrischend offen wie zum Glück auch falsch: Andreas Steinhöfel lässt Rico einen ganz ausgezeichneten Erzähler sein, dessen Stärke gerade in seinen witzigen Abschweifungen liegt. Ein Underdog, der lebendig und bildreich schildert, wie er durchs Leben schlittert, den hochbegabten und eigenwilligen Oskar trifft, sich mit ihm anfreundet und dann plötzlich in den spektakulärsten Kriminalfall der Stadt verwickelt wird.
Steinhöfel verbindet in dem Buch originelle Milieustudien aus dem Berliner Großstadtdschungel mit klugen Gedanken über das Leben an sich, ohne je ins Pädagogische abzugleiten. Und richtig spannend wird’s auch noch! Darum ist Steinhöfel schon öfter mit den ganz Großen des Genres verglichen worden, Kästner inklusive. Viel Lob, aber Buch und Autor haben es verdient.
Von: Andreas Steinhöfel, mit Illustrationen von Peter Schössow
Verlag: Carlsen
Roman für Kinder ab 10 Jahren
ISBN: 978–3551310293
Taschenbuch: 224 Seiten
Format: 12,1 x 2,2 x 18,9 cm