Der Hund, den Nino nicht hatte
Ein Kindheitssommer am Wald. Warme Erdtöne, der Duft der Fichten und des nahen Sees. Die von der Sonne aufgeheizte Erde. Ein Traum.
Der niederländische Illustrator Anton van Hertbruggen lässt ihn in seinem ersten Kinderbuch lebendig werden: Seine Bilder sind genauso unwirklich wie man die Welt als Kind an diesen langen Tage nur spüren kann. Und damit passen sie perfekt zu Edward van de Vendels Geschichte von Nino und dem Hund, den er nicht hatte.
Der Junge imaginiert sich einen treuen Begleiter. Als Schemen gezeichnet tollt der mit Nino auf Erkundungstour umher, tröstet ihn, wenn er traurig ist, und gemeinsam besuchen sie die Uroma. Das scheint schön, aber auch ein bisschen traurig. Denn jedes Mal, wenn das eingebildete Tier im Text erwähnt wird, dann mit der ihn sofort selbst negierenden und in die Vergangenheitsform gesetzten Formulierung „der Hund, den Nino nicht hatte”. Das erzeugt mindestens zwei sich auf seltsame Weise widersprechende Gefühle, die sich zu einem Anflug von Wehmut ergänzen: das Empfinden von einem Mangel und das von der Angst um dessen Verlust.
Und dann, in der Mitte des Buches, bekommt Nino einen echten Hund geschenkt. Die Freude jedoch ist nicht ungetrübt. Der Phantasiehund verschwindet, und der echte ist ganz anders, als der vorgestellte. Dass er nicht auf Bäume klettern mag – egal. Dafür ist er weich und lieb und alle können ihn sehen. Schwerer wiegt, dass er nicht all das intuitiv begreift, was Nino sonst noch wichtig ist. Dass er Ninos Sehnsucht nach seinem Vater nicht versteht, der weit weg ist und der oft nur übers Telefon die Verbindung halten kann.
Der Phantasiehund konnte Dinge, die kein echter je können wird. Wieder weht einen ein Hauch Schwermut an. Doch im Buch heißt es: „Das ist alles nicht so schlimm.” Und dann kommen Edward van de Vendel und Anton van Hertbruggen zu einer im wahrsten Sinne phantastischen Lösung.
Obwohl „Der Hund, den Nino nicht hatte” knapp und in kurzen Sätzen erzählt ist, ist das Buch enorm vielschichtig und steckt voller Ambivalenzen. 2016 erhielt es den Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis als bestes Bilderbuch. Die hintergründige Umsetzung lasse verschiedene Deutungen zu und öffne das Buch beim wiederholten Betrachten immer wieder für neue Geschichten, lobte die Jury: „Autor und Illustrator versetzen sich tief in die Gedankenwelt von Kindern und thematisieren die grundlegende kindliche Erfahrung, dass Vorfreude oft nicht die tatsächliche Erfüllung findet.”
Von: Edward van de Vendel und Anton van Hertbruggen (Illustrationen), übersetzt von Rolf Erdorf
Verlag: Bohem Press
Bilderbuch ab 3 Jahren
ISBN: 978–3855815524
Gebundene Ausgabe: 40 Seiten
Format: 24 x 1 x 34 cm