Die Gans im Gegenteil
Gerade hatte ich den letzten Roman von Wolf Haas ausgelesen und war mir fast sicher, die Bücher meines Lieblingsautors nun alle zu kennen. Aber ich brauchte mehr Stoff, jetzt, sofort. Vielleicht war es einem kleinen Stückchen Text gelungen, sich bis jetzt vor mir zu verstecken? Es musste auch keiner von diesen revolutionären Liebes-Romanen sein, einen klitzekleinen Brenner-Krimi hätte ich ebenfalls genommen. Oder meinetwegen irgendein Essay. Egal, Hauptsache Haas.
Ich fand: ein Kinderbuch!
„Die Gans im Gegenteil” (erschienen 2010 bei Hoffmann und Campe) ist ein echter Haas: Ein verrückter Plot mit herrlich schrägen Figuren und feinem Wortwitz schlägt irre Kapriolen und erweist sich am Ende als genial durchdacht.
„Die Gans im Gegenteil” ist die gereimte Geschichte vom Fuchs, der zu schnell rannte und dessen Fell deswegen in die falsche Richtung wuchs. „Seinen Haaren war Schlimmes widerfahren”, schreibt Haas und reimt anschließend „Schämfrisur” auf „Problemfigur”. Der Fuchs ist verzweifelt. „Wie in der großen Dichtung” ruft er mit brennender Kehle in den Wald hinein: „Mir kann keiner helfen, ich bin verloren!”
Zum Glück kam das der Gans zu Ohren.
Auftritt Gans. Der große Vogel flattert schnatternd ins Buch und verspricht großspurig:
„Ich kann’s!
Ich bin die Gans!
Ich mach es wieder heil.
Ich bin die Gans im Gegenteil!”
Allerdings ist die folgende Prozedur, in deren Verlauf Haas unter anderem „kann” auf „arschvoran” und „böse” auf „Friseuse” reimt, für den Fuchs einigermaßen erniedrigend. Aber was bleibt ihm anderes übrig, als die Anweisungen der Gans zu befolgen?
„Die Gans im Gegenteil” ist eine gelungene Variation des alten Fuchs-Gans-Themas mit umgekehrtem Machtgefälle und wunderbar wüsten Reimen (Stabreime, Paarreime, Kreuz- und Querreime). Die im Großen und Ganzen hilfsbereite Gans ist nur minimal fies, so dass sich eine ausbalancierte Geschichte ergibt, die weder zu böse noch zu pädagogisch ist. Die künstlerischen Illustrationen sind eine Wonne.
Mein Kita-Kind liebt das Buch übrigens genauso wie ich. Es lässt sich sich auch nicht davon ärgern, dass ihm möglicherweise der eine oder andere Witz verborgen bleibt, sondern quiekt vergnügt mit, wenn die Gans ihr Mantra abspult: „Ich kann’s! Ich bin die Gans! Ich mach es wieder heil. Ich bin die Gans im Gegenteil!”
Von: Wolf Haas (Text) und Teresa Präauer (Illustrationen)
Verlag: Hoffmann und Campe
Bilderbuch ab 4 Jahren
ISBN: 978–3455402865
Gebundene Ausgabe: 40 Seiten
Format: 26,8 x 20 x 1 cm
Der Fuchs und seine „Schämfrisur”. Das arme Tier ist so verzweifelt, dass es zähneknirschend sogar die wirklich sehr absurden Ratschläge der Gans befolgt. Doch statt Rückverwandlung gibt’s zunächst Totalverschandlung. Und als ihn die Gans auch noch ins Wasser stößt, kommt dem Fuchs der Verdacht: „Diese Gans ist sehr böse”. Doch die Gans flötet: „Ich bin ein Föhn, mein Herr, gleich sind sie wieder schön mein Herr.” Und wir stellen fest: Sie ist nicht böse, sie ist Friseuse.