ab 5 Jahren

Das Mädchen in Rot

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Das Mädchen in Rot - Kinderbuch ab 5 Jahren von Roberto Innocenti

Wie diese Bil­der leuch­ten! Ein klei­nes Mäd­chen in Rot durch­quert den Dunst der Groß­stadt, läuft durch Smog und Regen. Vor­bei an Stra­ßen­künst­lern, gries­grä­mi­gen Ein­käu­fern, Graf­fiti. Und über­all zwi­schen dem grauen Beton strah­len Neon­re­kla­men und schreien bunte Plakate.

Der ita­lie­ni­sche Illus­tra­tor Roberto Inno­centi hat das Mär­chen von Rot­käpp­chen vom Wald in eine Stadt ver­la­gert. Das mär­chen­hafte „Es war ein­mal…” ver­steht er als „zau­ber­haf­ten Schlüs­sel, um zu jedem Ort und in jede Zeit zu wan­dern”. In die­sem Fall in den Moloch einer moder­nen Metro­pole. Inno­centi: „Diese Inter­pre­ta­tion hat sich von selbst auf­ge­drängt, als ich daran dachte, dass es heute für ein Mäd­chen sehr viel gefähr­li­cher ist, eine Vor­stadt zu durch­que­ren als einen Wald.”

Das ist nicht die ein­zige Über­tra­gung, die Inno­centi vor­nimmt. Als Sophia, das Mäd­chen in Rot, vom Weg zur Groß­mutter abkommt und in einer düs­te­ren Sei­ten­gasse von Halb­star­ken bedrängt wird, begeg­net sie kei­nem wil­den Tier, son­dern einem Typen in schwar­zer Leder­kluft, der Sophia wie der Ret­ter in der Not erschei­nen muss, als er die Schur­ken mit läs­si­ger Geste verscheucht.

Das Mädchen in Rot - Kinderbuch ab 5 Jahren von Roberto Innocenti

Mit die­ser Dar­stel­lung ist Inno­centi ziem­lich dicht an der Rot­käpp­chen-Inter­pre­ta­tion von Charles Per­rault, der das alte euro­päi­sche Volks­mär­chen Ende des 17. Jahr­hun­derts als einer der ers­ten nie­der­schrieb. In sei­ner mora­li­schen Ein­ord­nung am Schluss heißt es: „Es gibt da ver­schie­dene Arten von Wöl­fen. Da gibt es sol­che, die auf char­mante, ruhige, höf­li­che, beschei­dene, gefäl­lige und herz­li­che Art jun­gen Frauen zu Hause und auf der Straße hin­ter­her­lau­fen. Und unglück­se­li­ger­weise sind es gerade diese Wölfe, wel­che die gefähr­lichs­ten von allen sind.”

Das Mädchen in Rot - Kinderbuch ab 5 Jahren von Roberto Innocenti

Roberto Inno­centi hat aus dem Stoff ein unheim­lich schau­ri­ges Mär­chen gemacht, das nur nicht trau­rig endet, weil es eben ein Mär­chen ist: „Wisst ihr noch, wie das mit den Geschich­ten ist?”, fragt das stri­ckende Groß­müt­ter­chen, das in der Rah­men­hand­lung die Erzäh­le­rin dar­stellt, als die gesamte Zuhö­rer­schaft schon in Trä­nen auf­ge­löst ist. „Geschich­ten sind magisch. Wer sagt, dass sie nur ein Ende haben können?”

Und so bekommt das lehr­rei­che Mär­chen noch einen zwei­ten Schluss. Die­ses Mal ein Happy End – mit Poli­zei­ein­satz und Fern­seh­re­por­tage vom Tatort.

Inno­centi hat ein Händ­chen dafür, seine Leser­schaft zu spal­ten. Sein Holo­caust-Bil­der­buch „Rosa Weiss” (1986) führte zu einer Debatte, wie viel Rea­li­tät Kin­dern zuge­mu­tet wer­den kann. Beim „Mäd­chen in Rot” ist das ähn­lich. Kom­men­ta­to­ren im Inter­net nen­nen es „unan­ge­mes­sen”, „ekel­haft”, „ver­stö­rend” oder „krank”. Aber wer sei­nen Kin­dern mehr als nur schmutz­lose Heile-Welt-Illu­sio­nen zutraut, der bekommt ein her­aus­ra­gen­des Buch, anrüh­rend und packend erzählt, detail­reich illus­triert und mon­tiert wie das Sto­ry­board eines ganz gro­ßen Kino­films. Dra­ma­tisch gute Kunst!


Von: Robert Inno­centi (Idee und Bil­der), Text von Aaron Frisch, aus dem Eng­li­schen über­setzt von Ulli und Her­bert Günther
Ver­lag: Gerstenberg
Bil­der­buch ab etwa 5 Jahren
ISBN: 978–3836957427
Gebun­dene Aus­gabe: 32 Seiten
For­mat: 29,2 x 26,8 x 1 cm
Rating: 3.8/5. From 15 votes. 
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