Ein Garten für den Wal
Manchen Kinderbüchern reicht ein Einfall. Im besten Fall ist er originell, der Rest der Geschichte fügt sich dann drum herum, vielleicht gibt es noch irgendeine Moral, und alle sind zufrieden.
Toon Tellegens „Ein Garten für den Wal” beginnt auch mit einer originellen Idee: Der Wal wohnt mitten im Ozean, wo er allen Platz der Welt hat. Eine Tür und ein Bett braucht er nicht (er lässt sich im Schlaf einfach treiben, und Besuch sieht er schon von Weitem, also muss niemand klopfen). Aber einen Garten, den hätte er schon noch gerne. Denn der würde gut zu seinem Springbrunnen passen.
Also schreibt er dem Grashüpfer, der am Waldrand einen kleinen Laden führt, und beauftragt ihn mit Gartenplanung und ‑bau. Es wird ein prächtiger Garten. Viele Tiere, die sonst nicht gekommen wären, besuchen den Wal. Das ist schön, aber manchmal auch ein kleines bisschen lästig. Etwa bekommt der Wal Rückenschmerzen, als Nashorn und Nilpferd zwischen den Sträuchern tanzen. Und mit Rücksicht auf den Garten kann der Wal jetzt nicht mehr wie gewohnt springen oder auf dem Rücken liegend die Sterne beobachten und träumen.
Diese Geschichte über Wünsche, Erfüllungen und Glück (mitsamt der ihr innewohnenden Nachdenklichkeit und dem überzeugenden Schluss) könnte schon allein ein gutes Kinderbuch ergeben. Weil Toon Tellegen, Träger des Österreichischen Staatspreises für Kinder- und Jugendliteratur und des Goldenen Griffels, aber ein ganz besonderer Autor ist, begnügt er sich nicht damit.
Um die Erzählung herum blühen zig weitere bezaubernde Einfälle. Da ist zum Beispiel das Walross, das sich im Walgarten verläuft – und sagt: „Dafür braucht man nichts Großes. Ich jedenfalls nicht.” Oder das Glühwürmchen, das sich anbietet, nachts das Licht an- und auszuschalten – worauf der Wal antwortet, seine Gedanken würden schon immer an- und ausgehen, obwohl er das nicht wolle. Gerne dürfe das Glühwürmchen trotzdem sein Gast sein.
Und so wird die ganze tiefe Erkenntnis, die im „Garten für den Wal” steckt, abgefedert durch die vielen, flockenleichten und mit feinem Witz erzählten Episoden, die aus dem Buch ein Meisterwerk voller Liebe zum weitverzweigten Leben mit all seinen kleinen Unzulänglichkeiten machen. Ein herausragendes und poetisches Stück Kinderliteratur – auch dank der zart gezeichneten und traumhaft aquarellierten Illustrationen von Annemarie van Haeringen.
Von: Toon Tellegen, mit Bildern von Annemarie van Haeringen, aus dem Niederländischen übersetzt von Andrea Kluitmann
Verlag: Gerstenberg
Kinderbuch ab 5 Jahren
ISBN: 978–3836959018
Gebundene Ausgabe: 64 Seiten
Format: 19,1 x 1,2 x 24,6 cm