Ein Weiser, ein Kaiser und viel Reis
Wann, wo und wie das Schachspiel erfunden wurde, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich dauerte die Entwicklung viele Jahrhunderte, begann mit dem indischen „Chaturanga”, führte über das persische „Chatrang” und das arabische „Schatrandsch”, ging dann in Spanien, Italien, Byzanz und Russland weiter. Das Schachspiel wurde fortlaufend modifiziert, bis die Regeln ab etwa dem Beginn des 19. Jahrhunderts kaum noch verändert wurden.
Viel lustiger allerdings als diese schnöde Entstehungsgeschichte ist eine oft (und in vielen verschiedenen Versionen) erzählte Legende, die dem Bilderbuch „Ein Weiser, ein Kaiser und viel Reis” von Paolo Friz zugrunde liegt. Friz siedelt sie irgendwo in Ostasien an. Der Kaiser verlangt den Bauern zu viel Reis ab, als dass die noch ein anständiges Auskommen haben könnten. Um Rat suchend wenden sie sich deshalb an den Weisen auf dem Berg. Der grübelt eine Nacht lang und erfindet dann für den brettspielbegeisterten Kaiser das Schachspiel. Ein Spiel, bei dem zwar der König (bzw. Kaiser) die wichtigste Figur ist, er aber ohne Königin, Springer, Läufer, Türme und Bauern nicht gewinnen kann. Das soll ihn auf sanfte Art den Wert seiner Untertanen lehren.
Der Kaiser ist begeistert von dem Spiel und gewährt dem Weisen einen Wunsch. Scheinbar bescheiden verlangt der, der Kaiser möge ihm Reis schenken. Für das erste der 64 Spielfelder ein einziges Körnchen, für das zweite zwei, für das dritte vier, für das vierte acht – und immer so weiter. Von Feld zu Feld soll der Kaiser die Reismenge verdoppeln.
So ganz weiß der Kaiser nicht, was er davon halten soll. Ist der Weise wirklich so dumm, außer einem Sack Reis nichts haben zu wollen? Er könnte Gold bekommen – und wünscht sich bloß ein bisschen Reis? Spottend stimmt der Kaiser schließlich zu.
Aber wie sehr er sich noch wundern soll! Denn er hat unterschätzt, zu welchen unermesslichen Mengen sich diese Rechnung aufschaukeln wird. Mehr als 18 Trillionen Reiskörner, das sind ungefähr 900 Milliarden Tonnen – würde man damit Schiffe beladen wollen, würde die Kolonne weiter als von der Erde bis zur Sonne reichen!
Heutzutage erzählen Mathematiklehrer die Anekdote vom Weisen und dem Kaiser gerne, um ihren Schülern die Kraft von Exponentialfunktionen zu erläutern. Für die Zielgruppe dieses Kinderbuchs liegen solche Aufgaben noch in ferner Zukunft. Die Geschichte mit ihren klaren, leuchtenden Illustrationen vermittelt aber auch schon Fünfjährigen ein erstes Gefühl dafür – und außerdem ist sie ein ebenso schönes wie amüsantes Lehrstück über Überheblichkeit, List und Gerechtigkeit.
Von: Paolo Friz
Verlag: Atlantis
Bilderbuch ab 5 Jahren
ISBN: 978–3715207247
Gebundene Ausgabe: 32 Seiten
Format: 20,5 x 1 x 30,1 cm