Fräulein Schmalzbrot und Billie Ballonfahrer
Von Gast-Rezensent Volker Schönenberger („Die Nacht der lebenden Texte”)
Fräulein Gummibärchen wäre ein viel schönerer Name für sie gewesen, findet Fräulein Schmalzbrot. Aber weil die Mama des Mädchens während der Schwangerschaft keine Gummibärchen verschlungen hat, sondern Ihr-wisst-schon-was, kam es eben zu diesem Namen. Natürlich ist das nicht ihr echter Name, aber geliebte Kinder haben eben viele Namen.
Weil man es mit Eltern nicht immer leicht hat, freut sich Fräulein Schmalzbrot über Verstärkung: Mama bekommt ein Baby. Als die kleine Schwester endlich auf der Welt ist, liebt Fräulein Schmalzbrot sie sofort. Aber weil Mama und Papa auf einmal so komisch sind – sie schimpfen viel und sind überhaupt sehr ungemütlich –, plant Fräulein Schmalzbrot, das Billie Ballonfahrer genannte Geschwisterchen mit einem ihrer Luftballons vom letzten Volksfest auf eine kleine Reise durch die Luft zu schicken. Nur für eine Woche vielleicht. Am Ende ist die große Schwester aber froh, dass sie doch noch nicht so richtig Schleife kann.
Mit der Erzählung von Billies fast absolvierter Ballonfahrt beginnt das erste Kinderbuch der Hamburger Psychologin, Buchhändlerin und ganz frisch auch Autorin Rieke Patwardhan. Rieke hat 14 fantasievolle und lebensnahe Geschichten geschrieben, die von der erfahrenen Illustratorin Nina Dulleck mit 16 Motiven ganz wunderbar bebildert worden sind. Herausgekommen ist mit „Fräulein Schmalzbrot und Billie Ballonfahrer” ein sehr schönes Vorlesebuch für kleine und große Geschwister, das mit seinem expliziten Fokus auf Geschwisterkinder im großen Bereich der Kinderbücher auf jeden Fall originell zu nennen ist.
Wenn Rieke da mal nicht die eine oder andere Anekdote aus dem eigenen Familienleben aufgegriffen hat! Der Verdacht liegt nahe, hat sie doch selbst zwei Töchter, denen auch die Widmung des Buches gilt. Vielleicht dienten auch Erzählungen anderer Eltern aus dem Freundeskreis als Inspiration für einige Abenteuer der beiden Schwestern mit den wunderlichen Namen. So oder so lassen die Geschichten auch vorlesende Eltern schmunzeln.
Noch eine!
Eltern sind das eine, die eigentliche Zielgruppe Kinder das andere. Meine siebenjährigen Zwillingstöchter haben das Kindergartenkind – später auch Schulkind – Fräulein Schmalzbrot und seine kleine Schwester Billie Ballonfahrer schnell ins Herz geschlossen und lassen sich gern aus dem Buch vorlesen. Die Episoden haben eine gute Betthupferl-Länge – man kann sich auch ohne schlechtes Gewissen überreden lassen, noch eine hinterherzuschieben. Welche Eltern kennen das nicht?
Favorit einer meiner beiden Deerns ist die Geschichte „Fräulein Schmalzbrot, Billie Ballonfahrer und die Schnullerfee”. Darin hat Fräulein Schmalzbrot großen Anteil daran, dass ihre kleine Schwester künftig ohne Schnuller auskommt. Meine andere Tochter benannte „Übernachtung bei Tante Thea“ als Lieblingsepisode: Weil Fräulein Schmalzbrot und Billie Ballonfahrer bei Tante Thea übernachten sollen, denkt sich die Ältere einige Allergien für ihre Schwester aus, damit Mama und Papa sie schleunigst zurückholen. Die Jüngere niest dann auch pflichtschuldig, wenn auch etwas verwundert. Aber Tante Thea wäre nicht Tante Thea, hätte sie nicht eine schokoladige Arznei gegen Allergien parat.
Mit Zombies ist nicht gut zelten
In der Episode „Nachmacher, Nachmacher” geht es darum, dass Billie Ballonfahrer immer die gleichen Sachen anziehen will wie ihre ältere Schwester, was dieser sehr auf die Nerven fällt. Schlimm, sowas! Doch das Fräulein verfällt auf eine List, die sogar funktioniert. Dass man mit Zombies nicht so gut zelten kann und familiäres Füße Vertreten im Wald ganz schön elendig sein kann, lernen wir in weiteren Geschichten. Sie alle scheinen gar nicht so weit weg vom wahren Leben zu sein.
Meine Bewertung des Buchs mag aufgrund meiner Bekanntschaft mit Rieke subjektiv sein, meinen Kindern ist das aber egal. Die Art und Weise, wie sie mir beim Vorlesen der Erlebnisse von Billie und dem Fräulein gespannt zuhören, spricht für sich. Riekes frischer Einblick in kindliche Gedankengänge gleitet niemals in Infantilität ab. Es ist ein Buch, das ich sicher immer wieder gern zum Vorlesen hervorholen werde. Kinder ab fünf Jahren werden ihre Freude daran haben. Und wenn ein älteres Geschwisterkind im ersten Schuljahr erst einmal Lesen gelernt hat, wird es dem jüngeren zweifellos gern selbst daraus vorlesen.
Bei gute-kinderbücher.de kann jeder mitmachen, der möchte. Einach auf diesen Link gehen und eine Kinderbuch-Besprechung schicken.
Von: Rieke Patwardhan (Text) und Nina Dulleck (Illustrationen)
Verlag: Knesebeck
Kinderbuch ab 5 Jahren
ISBN: 978–3868738124
Gebundene Ausgabe: 112 Seiten
Format: 15,6 x 1,7 x 22,1 cm