Lindbergh – Geschichte einer fliegenden Maus
Endlich mal wieder ein episches Bilderbuch. Nicht die üblichen 32 Seiten, sondern 96. Akkurat gearbeitet, klug gesponnen, auf phantasievolle Weise historisch – und dramatisch wie ein guter Film. „Lindbergh” ist ein Meisterstück. Torben Kuhlmann, zuvor schon erfolgreicher Freiberufler, hat damit 2012 sein Diplomstudium in Illustration und Kommunikationsdesign an der Hochschule für Angewandte Kunst in Hamburg abgeschlossen.
In Hamburg beginnt auch die Geschichte der kleinen Maus, die so viele Bücher in düsteren Bibliotheken wälzt, dass sie gar nicht mitbekommt, was draußen neue Mausefallen anrichten. Als sie von ihren Studien heimkehrt, sind jedenfalls alle Artgenossen weg (was übrigens ein schöner Anfang für eine Studien-Abschlussarbeit ist). Die Maus vermutet: nach Amerika. Es ist der Beginn des 20. Jahrhunderts, und da liegt das ja nahe. Dorthin will sie also nun auch. Weil aber die Schiffe von hungrigen Katzen bewacht werden, bleibt nur der Luftweg. Jetzt sind Erfindergeist und Wagemut gefragt.
Was an diesem Buch fasziniert, ist zum einen seine Erzählkraft in Wort und (vor allem) Bild. Viele der doppelseitigen Illustrationen kommen wie große Szenen im Kino ganz ohne Text aus. Allenfalls ein bisschen Musik könnte man sich zu den fotorealistisch gezeichneten und im Sepia-Look aquarellierten Bildern noch gut vorstellen. Zum Beispiel, wenn die Eulen der schließlich durchstartenden Maus bedrohlich nahe kommen und riesig hinter ihrem filigranen Fluggerät auftauchen. Torben Kuhlmann zeigt die Geschichte der Maus in packenden Perspektiven. Und so ist die Erzählung trotz ihres Umfangs temporeich und spannungsgeladen. Man könnte das Buch darum ruhig auch als Graphic Novel und nicht als Kinderbuch besprechen.
Zum anderen weist „Lindbergh” eine ansteckende Vernarrtheit in Technik, Geschichte und Experimente aus. Was die Maus an verschiedenen Flugmaschinen entwickelt, ist ziemlich ausgetüftelt. Da Vincis Luftschraube modifiziert sie zum Beispiel mit einem Feuerzeug-Dampfantrieb. Und eine Lilienthal-Reminiszenz fehlt auch nicht. Das macht Lust, noch einmal nachzuschlagen: Wie war das mit der Geschichte des Fliegens wirklich?
Zu guter Letzt ist „Lindbergh” die Geschichte einer kleinen Maus, die durch Klugheit und Mut Großes schafft – und damit einen kleinen Jungen namens Charles Lindbergh inspiriert. So einen Plot jenseits aller Niedlichkeit umzusetzen – Respekt!
Von: Torben Kuhlmann
Verlag: NordSüd
Bilderbuch ab 5 Jahren
ISBN: 978–3314102103
Gebundene Ausgabe: 96 Seiten
Format: 22 x 1,5 x 28,4 cm
Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2015, unter anderem von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet als eines der schönsten deutschen Bücher 2014.