Opa Dieter, haste noch ne Geschichte?
Was gibt es Schöneres als eine herrlich versponnene Quatsch-Geschichte?
Eigentlich nur eines: Wenn Opa sie völlig ernst vorträgt, so als habe sie sich exakt so zugetragen. Dann kann man ihm zuzwinkern, in sich hinein kichern und hinterher im Bett die Gedanken noch einmal um all die eben gehörten Verrücktheiten herum kreisen lassen.
Karl-Dieter Wilhelm, auch bekannt als Opa Dieter, hat das Geschichtenerzählen – wie man so sagt – mit der Muttermilch aufgesogen. Das Talent dazu, erklärt er, vererbte ihm seine Prager Mutter. Der schlesische Vater wiederum spendierte den Humor.
Und dann hat er auch noch jahrelang geübt!
Für seine fünf Enkel (die alle inzwischen längst aus dem Vorlesealter heraus sind) hat sich Opa Dieter die dollsten Geschichten einfallen lassen. Dankenswerterweise hat er sie auch aufgeschrieben – und daraus sind mittlerweile zwei wahrhaft köstliche Bücher entstanden. In trockenem Ton schildert Opa Dieter wahnwitzige Begebenheiten und schickt sein Publikum auf rasante Reisen voller Überraschungen. Hätten Sie zum Beispiel gedacht, dass Lachen lange Beine macht oder dass das Salzwasser aus dem Roten Meer die Haare sprießen lässt (aber nur das ganz oben im Norden, an der äußersten Ecke vom Roten Meer)?
Die Geschichten sind lustig, herzlich, kurios, wendungsreich – und zwischen dem ganzen freundlichen Schabernack blitzt auch immer wieder die ein oder andere Weisheit auf.
Als kleiner Anschmecker hier die erste Geschichte aus dem zweiten Erzählband:
Ralf Gummibein – aus „Opa Dieter, haste noch ne Geschichte?”
In einem kleinen Ort an der Ruhr lebte ein Lehrer. Der gab an einer Polizeischule jungen Polizisten Gesangsunterricht. Man hat nämlich festgestellt, dass die Verbrecher gleich ruhiger werden und sich leichter festnehmen lassen, wenn die Polizisten dabei ein kleines Lied singen.
Da der Lehrer immer ganz coole Kleidung anzog und eine lustige Stimme hatte, wollten ihn viele der jungen Polizistinnen heiraten. Aber da Lehrer immer ganz viel reden müssen, suchte er eine Frau, die noch mehr redet als er, damit sie besser zusammen passen. Die Polizistinnen haben ihm aber alle zu wenig geredet.
Immer wenn er daran denken musste, dass er noch keine Frau gefunden hatte, wurde der Lehrer ganz traurig. Deshalb fuhr er oft an die Küste nach Holland, um sich abzulenken und schaute dort immerzu traurig auf das Meer.
Als er gerade wieder einmal so traurig auf das Wasser sah, kam am Strand ein wunderschönes Mädchen entlang gelaufen, das redete dauernd, obwohl keiner da war, der ihm zuhörte. „Mit wem redest Du?”, fragte der Lehrer. „Ach, ich rede so gern und weil mir hier keiner zuhört, rede ich mit den Meereswellen”, sagte das Mädchen.
Da wusste der Lehrer sofort: „Das ist genau die Richtige!” und fragte gleich, ob sie ihn heiraten möchte. „Ja gern!”, sagte sie und bald danach wurde eine schöne Hochzeit gefeiert mit viel Musik.
Ein Jahr später bekamen sie einen Sohn, den sie Ralf nannten. Beide meinten nun, dass Ralf nun auch gleich sprechen könnte. Junge Eltern in ihrer Freude denken manchmal so. Jeder Mensch, der zu Ralf ins Zimmer kam, musste ganz ruhig sein, wenn Ralf etwas sagen wollte. Aber der hat natürlich noch nichts geredet, sondern hat gelallt und ist dabei immer nur herumgetanzt. Nach einem Jahr konnte er allerdings bis an die Zimmerdecke springen. Dabei hat er sich immer den Kopf angestoßen, sodass man ihm morgens sofort nach dem Aufwachen einen Fahrradhelm zum Schutz aufsetzen musste.
Das kam den Eltern mittlerweile doch komisch vor und so sind sie mit Ralf zum Kinderdoktor gegangen. Der hatte so einen Jungen auch noch nicht erlebt, sah ihn sich aber genau an und telefonierte schließlich mit seinen Onkel, weil der ein berühmter Professor war. Der Professor kam auch gleich und untersuchte Ralf ganz genau.
Danach wusste er Bescheid und erzählte den Eltern, dass Ralf mexikanische Gummibeine habe. Das haben viele Leute in Mexiko und in Südamerika, weil dort die Palmen so hoch sind und alle immer viel springen müssen, um Kokosnüsse zu ernten.
Irgendein Großvater vom Lehrer muss wohl Mexikaner gewesen sein und Ralf hatte dessen Gummibeine geerbt. Es wäre aber keine Krankheit, versicherte der Professor, Ralf sollte bloß beim Hochspringen aufpassen, dass er nicht immer an die Decke knallte.
Alle freuten sich, dass Ralf nichts Schlimmes hatte!
Als Ralf dann zehn Jahre alt war, konnte er bis an die Schornsteine der Nachbarshäuser springen. Das beobachtete eines Tages ein Dachdecker. Er fragte Ralf, ob er nicht immer nachmittags nach der Schule für ihn die Dachrinnen der Häuser reinigen könnte. Er selbst sei schon recht alt und das Schleppen der langen Leitern sei für ihn zu anstrengend. Ralf bekäme dafür jede Woche einen Sack mit Gummibärchen, bot ihm der Dachdecker an. Die könnte er ja dann gegen einen Computer eintauschen oder so.
Ralf half dem alten Dachdecker gern, aber mit der Zeit wurde ihm die Dachrinnen-Putzerei zu langweilig. Und ein Computer ist viel zu teuer, als dass man ihn sich mit dieser Arbeit verdienen könnte. Da müsste er sich schon etwas anderes suchen.
Als er einmal so durch die Stadt ging, sah er große Plakate, auf denen ein Wettbewerb im Break-Dance angekündigt wurde. Alle sollten in die Stadthalle kommen und der Gewinner des Wettbewerbs bekäme ein Auto geschenkt. Tolle Idee, dachte sich Ralf, und ging mit seinen Eltern hin – weil die ja den Eintritt bezahlen mussten.
Alle Break-Tänzer strengten sich mächtig an, aber sie hatten natürlich keine Gummibeine wie Ralf! Also konnte der ganz leicht gewinnen und bekam den ersten Preis, das Auto!
Nur, was sollte Ralf mit einem Auto? Er hatte ja noch gar keinen Führerschein!
Er hat es seiner Mama geschenkt. Dafür muss die ihn jetzt immerzu dahin fahren, wozu er gerade Lust hat.
Trotzdem hüpft er zum Spaß immer noch gerne herum. Wenn ihr aufpasst, seht ihr ihn vielleicht gerade irgendwo vorbeihüpfen.
Von: Karl-Dieter Wilhelm, mit Zeichnungen von Sabine Sofie Brooks
Verlag: Canim
Kindergeschichten ab 5 Jahren
ISBN: 978–3942790192
Gebundene Ausgabe: 70 Seiten
Format: 21,7 x 1,2 x 30,4 cm