Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm
Seit ich Rafik Schami zum ersten Mal im Radio gehört habe, bin ich ein Fan. Ich war noch ein Kind, und seine weiche Erzählstimme schlug mich sofort in ihren Bann. Immer, wenn ich ein Buch von ihm lese, hört mein inneres Ohr diese zauberhafte Stimme. Sie hat mir lustige, traurige, dramatische, phantastische und sehr reale Geschichten erzählt. Sowohl aus den Büchern für Kinder und Jugendliche als auch aus denen für Erwachsene lässt sich viel über Syrien, die Menschen dort und die Konflikte des Landes lernen.
Aber weil Rafik Schami seit 1971 in Deutschland lebt und nicht wieder zurück in seine Heimat kann, trägt er zwar immer noch Damaskus im Herzen, beschreibt aber auch sehr genau das Leben hier. Viele Bücher und Geschichten behandeln die Hoffnungen, Sehnsüchte und Schicksale von Menschen, denen es ähnlich wie Schami ergangen ist. Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, in unser Land gekommen sind, um hier zu leben, und die nun auf die deutsche Kultur treffen und versuchen, sich hier zurecht zu finden. Diese Menschen erleben viel Skurriles. Auch daraus lässt sich einiges lernen.
Im Bilderbuch „Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm” steht ein deutscher Vater im Mittelpunkt. Der Mann ist chronisch xenophob und gerät schon ins Schwitzen, wenn ihm ein schwarzer Mann im Aufzug begegnet. Aber Schami beschreibt ihn nicht als rassistischen Widerling, als lauthals schimpfenden Wüterich ohne jedes Mitgefühl, sondern als liebevollen, alleinerziehenden Vater, der sich rührend um seine Tochter kümmert.
Diese Tochter wiederum ist von ihrer besten Freundin Banja zum Geburtstag eingeladen worden und hat ihr versprochen, ihren Papa mitzubringen. Der kann nämlich zaubern, und Banja liebt nichts so sehr wie Zauberer. Nun weiß aber weder Banja von der seltsamen Angst des Mannes vor Schwarzen (sie kennt ihn ja nur aus den positiven Berichten ihrer Freundin), noch weiß er, dass Banja schwarz ist.
Wie sich die Sache weiter entwickelt und schließlich aufgelöst wird, ist typisch Schami: Die schwarze Familie nämlich teilt die Liebe des Autors zur großartigen Geschichte, die von Erzähler zu Erzähler immer weiter wächst, bis sie völlig übertrieben ist. Und so rechnet die Familie zum Schluss nicht mehr mit einem einfachen Gast, den sie zu bewirten hat, sondern mit einem wahren Helden, der alles kann, irre stark und groß und edel ist und alle bezaubert. Entsprechend eindrucksvoll ist der Pomp, mit dem die Familie ihren Gast begrüßt – und der den armen Mann nun völlig einzuschüchtern droht.
Schamis Geschichte (übrigens saukomisch illustriert von Ole Könnecke) stößt bei einigen Kritikern im Netz auf deutliches Missfallen. Ihnen wird der xenophobe Vater zu positiv dargestellt und die schwarze Familie zu stereotyp. Das ist natürlich völliger Unfug.
Zu Kritikpunkt 1: Wenn wir uns wünschen, dass Menschen ihre rassistischen Vorurteile ablegen, dürfen wir nicht die Menschen verteufeln, die diese Vorurteile hegen (die schalten dann nämlich bloß auf stur), sondern wir müssen gegen die Vorurteile an sich angehen. Die guten Eigenschaften des Mannes hervorzuheben, ist insofern intelligent.
Zu Kritikpunkt 2: Man muss auch Ironie verstehen können und dem Autor das Recht zugestehen, sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Den (durchaus sympathisch dargestellten) Hang zur dramatisch ausgeschmückten Übertreibung, den Schami der schwarzen Familie spendiert, interpretiere ich mindestens zum Teil als selbstironische Eigenreflektion und nicht als böswillige Stigmatisierung der Familie als „dumm”. Dass der daraus erwachsene Auftritt in traditionellen Kostümen das Bild des „lieben Wilden von Nebenan” bediene, wie es in einer Netzkritik heißt, ist natürlich auch Quark: Denn wie schon auf dem Buch-Cover zu erkennen, sind sich Banjas Papa und der ängstliche weiße Mann im Alltag gar nicht so unähnlich. Als äußeres Zeichen ihrer Zivilisiertheit sind beide als Zeitungsleser dargestellt, beide kümmern sich um ihre Töchter, beide kaufen die gleichen Dinge ein – und beide tragen sogar den gleichen grünen Pullunder. Die Schluss-Parade der schwarzen Familie mit Trommeln und Speeren reduziert sich damit für den aufmerksamen Leser auf eine Show-Veranstaltung zu Ehren des Besuchers. Eine gelungene Pointe, keineswegs ein Stereotyp!
Schade, dass man so ein schönes Buch, das sich klug und lustig gegen Alltagsrassismus wendet, in Schutz nehmen muss – und das ausgerechnet gegen Leute, die es doch eigentlich auch nur gut meinen!
Von: Rafik Schami (Text) und Ole Könnecke (Illustrationen)
Verlag: Carl Hanser
Kinderbuch ab 5 Jahren
ISBN: 978–3446203310
Gebundene Ausgabe: 32 Seiten
Format: 20,5 x 0,8 x 28,3 cm