Ein Känguru wie du
In Baden-Baden musste die Theater-Inszenierung von Ulrich Hubs Kinderbuch „Ein Känguru wie du” abgesetzt werden, weil das Publikum ausblieb. Besorgte Eltern meldeten ihre Kinder lieber krank, als sie mit ihren Schulklassen das Stück anschauen zu lassen.
Und warum? Weil in der Geschichte ein schwules Känguru vorkommt! Was sich da in Baden-Baden abspielte, ist nichts anderes als ein furchtbar peinliches Theater – und der Beweis dafür, dass Hubs Buch noch viel mehr Leser benötigt. Und zwar offensichtlich nicht nur Kinder!
Vermutlich, so formuliert es Hub selber, würden viele Eltern bei dem Stichwort „schwul” sofort an Sex denken und sich kopulierende Kängurus vorstellen. Daher wohl die Angst, die Geschichte könne die Kinder überfordern.
Dabei geht es überhaupt nie um Sex, sondern eher um Liebe bzw. eigentlich noch viel mehr ganz generell um Missverständnisse, Klischees, Vorurteile, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmung und verschiedene Vorlieben. Vor allem aber ist „Ein Känguru wie du” einfach eine ganz hervorragende und wirklich sehr, sehr witzige Erzählung.
Von vorn: Die beiden jungen Raubkatzen Lucky und Pascha lassen sich brav (wenn auch ein bisschen widerwillig) jeden Tag ihr Dressurprogramm von ihrem Tiertrainer einimpfen. Tiger Pascha, der die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt, berichtet:
Wenn ich manchmal stöhnte: „Warum müssen wir das eigentlich alles lernen? Sitz und Platz und Männchen – so was brauchen wir doch später im Leben nie wieder”, bekam ich ständig die gleichen Antworten zu hören. „Leistung lohnt sich immer”, sagte unser Trainer. „Nur Fleiß und Ausdauer führen zum Ziel.” Und später einmal würden wir ihm dankbar sein, und andere Tiere wären froh, wenn sie eine so wertvolle Ausbildung erhalten würden, er selbst hätte ja liebend gerne gelernt, durch einen brennenden Reifen zu springen, aber jetzt sei es für ihn leider zu spät, und Mozart sei schon mit vier Jahren das erste Mal vor Publikum aufgetreten und so weiter und so weiter.
Da ist dann für die Zielgruppe wohl schon mal klar, wer hier die Identifikationsfigur ist.
Locker und lustig fährt die Geschichte fort. Der Tiertrainer bekommt eine Einladung zu einem berühmten Zirkusfestival in einem kleinen Fürstenturm am Meer, Lucky und Pascha packen voller Vorfreude die Badehosen ein, die Fahrt geht los – und am Vortag des Festivals wird der Tiertrainer plötzlich irre nervös (weil er nämlich glaubt, sein ganzes Leben sei verpfuscht, wenn er nicht den Preis gewinnt). Lucky und Pascha fragen sich, was wohl mit ihm los ist, und da fällt – ein Viertel der Geschichte ist bereits vorüber! – überhaupt zum ersten Mal das Wort „schwul”. Die Seehunde unterstellen dem Trainer, „lieber Männchen” zu mögen. Als Beleg reichen müssen ein paar Indizien: Er heult wie ein kleines Mädchen, trägt bunte Klamotten, ist parfümiert, kann gut kochen und liest gerne Bücher.
Lucky und Pascha nehmen entsetzt Reißaus, weil sie nun fürchten, der Trainer könne einen schlechten Einfluss auf sie ausüben. Während sie durch die Stadt irren und sich wundern, dass alle vor ihnen weglaufen, verschwindet das Thema Homosexualität erst einmal wieder aus der Geschichte. Schließlich landen die jungen Raubtiere in einem Boxkeller, wo sie ein Känguru namens Django treffen, das gerade einen Sandsack verdrischt. Es ist ein Bild von einem Männchen, macht zum Frühstück fleißig Liegestütze, gewinnt jeden Kampf, kann miserabel kochen und in seinem Zimmer stinkt es nach verschwitzten Turnschuhen. Erst als das Buch zur Hälfte um ist und Raubkatzen und Känguru schon längst dicke Freunde sind, erwähnt Django völlig beiläufig, dass er schwul ist.
Diese für Lucky und Pascha völlig überraschende Wendung führt zu folgendem Dialog:
„Was ist deine Lieblingspizza?”, fragte ich.
„Das weißt du doch, Pizza Hawaii, aber ohne Ananas”, stöhnte Lucky. „Und ohne Schinken.”
„Warum eigentlich ohne Ananas?”
„Woher soll ich das wissen?! Ich habe mir meine Lieblingspizza nicht ausgesucht.”
„Eben.” Ich blieb ganz ruhig. „Das Känguru hat sich auch nicht ausgesucht, dass es lieber Männchen mag.”
„Kann man das miteinander vergleichen?” Lucky blickte mich zweifelnd an. „Ich glaube, so einfach ist das nicht.”
„Vielleicht schon. Weibchen, Männchen, Ananas -” Ich zuckte die Achseln. „Es ist doch egal, was man lieber mag. Hauptsache, man mag überhaupt irgendwas.”
Expliziter wird’s im ganzen Buch nicht! Aber wer achtjährigen Kinder bei solchen Gesprächen lieber die Ohren zuhalten möchte, dem ist natürlich nicht zu helfen…
Zu bedauern sind allerdings die Kinder dieser Eltern. Denn die verpassen nicht nur viele weitere ulkig-erfrischende Erkenntnisse, sondern auch ein fulminantes Finish mit sehr lustigen Kapriolen. Lesen und freuen!
Von: Ulrich Hub, mit Bildern von Jörg Mühle
Verlag: Carlsen
Kinderbuch ab 8 Jahren
ISBN: 978–3551556646
Gebundene Ausgabe: 96 Seiten
Format: 15,7 x 1,5 x 22,6 cm