ab 8 Jahren

Ein Känguru wie du

Rating: 3.8/5. From 16 votes. 
Please wait…

Kinderbuch: Ein Känguru wie du - Ulrich Hub

In Baden-Baden musste die Thea­ter-Insze­nie­rung von Ulrich Hubs Kin­der­buch „Ein Kän­guru wie du” abge­setzt wer­den, weil das Publi­kum aus­blieb. Besorgte Eltern mel­de­ten ihre Kin­der lie­ber krank, als sie mit ihren Schul­klas­sen das Stück anschauen zu lassen.

Und warum? Weil in der Geschichte ein schwu­les Kän­guru vor­kommt! Was sich da in Baden-Baden abspielte, ist nichts ande­res als ein furcht­bar pein­li­ches Thea­ter – und der Beweis dafür, dass Hubs Buch noch viel mehr Leser benö­tigt. Und zwar offen­sicht­lich nicht nur Kinder!

Ver­mut­lich, so for­mu­liert es Hub sel­ber, wür­den viele Eltern bei dem Stich­wort „schwul” sofort an Sex den­ken und sich kopu­lie­rende Kän­gu­rus vor­stel­len. Daher wohl die Angst, die Geschichte könne die Kin­der überfordern.

Dabei geht es über­haupt nie um Sex, son­dern eher um Liebe bzw. eigent­lich noch viel mehr ganz gene­rell um Miss­ver­ständ­nisse, Kli­schees, Vor­ur­teile, Selbst­wahr­neh­mung, Fremd­wahr­neh­mung und ver­schie­dene Vor­lie­ben. Vor allem aber ist „Ein Kän­guru wie du” ein­fach eine ganz her­vor­ra­gende und wirk­lich sehr, sehr wit­zige Erzählung.

Von vorn: Die bei­den jun­gen Raub­kat­zen Lucky und Pascha las­sen sich brav (wenn auch ein biss­chen wider­wil­lig) jeden Tag ihr Dres­sur­pro­gramm von ihrem Tier­trai­ner ein­imp­fen. Tiger Pascha, der die Geschichte aus der Ich-Per­spek­tive erzählt, berichtet:

Wenn ich manch­mal stöhnte: „Warum müs­sen wir das eigent­lich alles ler­nen? Sitz und Platz und Männ­chen – so was brau­chen wir doch spä­ter im Leben nie wie­der”, bekam ich stän­dig die glei­chen Ant­wor­ten zu hören. „Leis­tung lohnt sich immer”, sagte unser Trai­ner. „Nur Fleiß und Aus­dauer füh­ren zum Ziel.” Und spä­ter ein­mal wür­den wir ihm dank­bar sein, und andere Tiere wären froh, wenn sie eine so wert­volle Aus­bil­dung erhal­ten wür­den, er selbst hätte ja lie­bend gerne gelernt, durch einen bren­nen­den Rei­fen zu sprin­gen, aber jetzt sei es für ihn lei­der zu spät, und Mozart sei schon mit vier Jah­ren das erste Mal vor Publi­kum auf­ge­tre­ten und so wei­ter und so weiter.

Da ist dann für die Ziel­gruppe wohl schon mal klar, wer hier die Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur ist.

Locker und lus­tig fährt die Geschichte fort. Der Tier­trai­ner bekommt eine Ein­la­dung zu einem berühm­ten Zir­kus­fes­ti­val in einem klei­nen Fürs­ten­turm am Meer, Lucky und Pascha packen vol­ler Vor­freude die Bade­ho­sen ein, die Fahrt geht los – und am Vor­tag des Fes­ti­vals wird der Tier­trai­ner plötz­lich irre ner­vös (weil er näm­lich glaubt, sein gan­zes Leben sei ver­pfuscht, wenn er nicht den Preis gewinnt). Lucky und Pascha fra­gen sich, was wohl mit ihm los ist, und da fällt – ein Vier­tel der Geschichte ist bereits vor­über! – über­haupt zum ers­ten Mal das Wort „schwul”. Die See­hunde unter­stel­len dem Trai­ner, „lie­ber Männ­chen” zu mögen. Als Beleg rei­chen müs­sen ein paar Indi­zien: Er heult wie ein klei­nes Mäd­chen, trägt bunte Kla­mot­ten, ist par­fü­miert, kann gut kochen und liest gerne Bücher.

Kinderbuch: Ein Känguru wie du - Ulrich Hub

Lucky und Pascha neh­men ent­setzt Reiß­aus, weil sie nun fürch­ten, der Trai­ner könne einen schlech­ten Ein­fluss auf sie aus­üben. Wäh­rend sie durch die Stadt irren und sich wun­dern, dass alle vor ihnen weg­lau­fen, ver­schwin­det das Thema Homo­se­xua­li­tät erst ein­mal wie­der aus der Geschichte. Schließ­lich lan­den die jun­gen Raub­tiere in einem Box­kel­ler, wo sie ein Kän­guru namens Django tref­fen, das gerade einen Sand­sack ver­drischt. Es ist ein Bild von einem Männ­chen, macht zum Früh­stück flei­ßig Lie­ge­stütze, gewinnt jeden Kampf, kann mise­ra­bel kochen und in sei­nem Zim­mer stinkt es nach ver­schwitz­ten Turn­schu­hen. Erst als das Buch zur Hälfte um ist und Raub­kat­zen und Kän­guru schon längst dicke Freunde sind, erwähnt Django völ­lig bei­läu­fig, dass er schwul ist.

Diese für Lucky und Pascha völ­lig über­ra­schende Wen­dung führt zu fol­gen­dem Dialog: 

Was ist deine Lieb­lings­pizza?”, fragte ich.
„Das weißt du doch, Pizza Hawaii, aber ohne Ana­nas”, stöhnte Lucky. „Und ohne Schinken.”
„Warum eigent­lich ohne Ananas?”
„Woher soll ich das wis­sen?! Ich habe mir meine Lieb­lings­pizza nicht ausgesucht.”
„Eben.” Ich blieb ganz ruhig. „Das Kän­guru hat sich auch nicht aus­ge­sucht, dass es lie­ber Männ­chen mag.”
„Kann man das mit­ein­an­der ver­glei­chen?” Lucky blickte mich zwei­felnd an. „Ich glaube, so ein­fach ist das nicht.”
„Viel­leicht schon. Weib­chen, Männ­chen, Ana­nas -” Ich zuckte die Ach­seln. „Es ist doch egal, was man lie­ber mag. Haupt­sa­che, man mag über­haupt irgendwas.”

Expli­zi­ter wird’s im gan­zen Buch nicht! Aber wer acht­jäh­ri­gen Kin­der bei sol­chen Gesprä­chen lie­ber die Ohren zuhal­ten möchte, dem ist natür­lich nicht zu helfen…

Zu bedau­ern sind aller­dings die Kin­der die­ser Eltern. Denn die ver­pas­sen nicht nur viele wei­tere ulkig-erfri­schende Erkennt­nisse, son­dern auch ein ful­mi­nan­tes Finish mit sehr lus­ti­gen Kaprio­len. Lesen und freuen!


Von: Ulrich Hub, mit Bil­dern von Jörg Mühle
Ver­lag: Carlsen
Kin­der­buch ab 8 Jahren
ISBN: 978–3551556646
Gebun­dene Aus­gabe: 96 Seiten
For­mat: 15,7 x 1,5 x 22,6 cm 
Rating: 3.8/5. From 16 votes. 
Please wait…
__Anzeige_______________________________