Der Junge, der mit den Piranhas schwamm
Stanley Potts ist ein hageres, dürres Kind. Ein Junge, der „aus dem Fass der kleinen Kümmerlinge stammt”, der aber seinen „inneren Piranha” besiegt, wie es wohl der große Pancho Pirelli formulieren würde. Ein Junge, der das Unmögliche möglich macht und der es wagt, wirklich und wahrhaftig in das brodelnde Piranha-Becken des Lebens zu springen…
Aber von vorn: Stans Dasein bei Onkel und Tante verläuft bis zu dem Tag einigermaßen gewöhnlich, an dem die Winston-Werft dicht macht und sein Onkel beschließt, fortan im eigenen Haus eine Fischfabrik zu betreiben. Jetzt lärmt es den ganzen Tag, überall stehen Maschinen herum und Stan muss aus Platznot im Schrank schlafen. Dass Onkel Ernie nichts anderes mehr im Kopf hat als sein fischiges Unternehmen, führt schließlich zu Stans Flucht. Er heuert beim Jahrmarkt an, bei dem sich auch wieder alles um Fische dreht. Zunächst um harmlose, kleine Goldfische – und dann um die ganz harten Burschen mit den scharfen Zähnen, die im Becken von Pancho Pirelli schwimmen.
Die Geschichte, die David Almond (seit 2010 Träger des Hans-Christian-Andersen-Preises) erzählt, ist gespickt mit Dingen, die Kinder toll finden, nach denen sie sich sehnen: der Jahrmarkt, die ganzen irren Typen, der Kitzel der Gefahr, das Abenteuer, die Tiere, der Wunsch, selbstständig zu sein. Aber dann sind da auch die Dinge, die Kinder fürchten. Es geht um den Tod der Eltern, um die Angst vorm Verlassen-werden, um gestresste Erwachsene, die keine Zeit für einen haben und die über ihren eigenen Sorgen diejenigen der Kinder vergessen. Gleichzeitig ist die Geschichte so surreal und aberwitzig, dass man als Leser diese ernsten Nöte mit einer gewissen Distanz betrachten kann. Es hilft auch, dass Almond sich immer wieder selbst als Erzähler einschaltet, die Geschehnisse kommentiert und die Aufmerksamkeit lenkt. Wenn die Spannung mal wieder einem Höhepunkt entgegen strebt, greift Almond kurzerhand mit einem Szenenwechsel ein. Sein Stil ist kunstvoll und komisch zugleich. Die Poesie seiner Erzählung erzeugt eine wunderbare Tiefe, die nicht nur zum Mitfiebern und Mitfühlen anregt, sondern auch zum Mitdenken. Ob es nun um Erwachsenen-Probleme wie Arbeitslosigkeit und blöde Behörden geht, oder um die großen Fragen des Lebens schlechthin: um Mut, Magie und Überwindung.
Kurz: „Der Junge, der mit den Piranhas schwamm” ist ein echter Lese-Tipp. Nicht umsonst wurde die Hörfassung mit dem „Deutschen Hörbuchpreis 2015″ ausgezeichnet und das Buch für den „Deutschen Jugenliteratur-Preis” nominiert.
Von: David Almond, mit Illustrationen von Oliver Jeffers, übersetzt von Alexandra Ernst
Verlag: Ravensburger Buchverlag
Kinderbuch ab 9 Jahren
ISBN: 978–3473368723
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten