Die Bibel
Die Bibel? Könnte man ja mal gelesen haben, ist immerhin Kulturgut. Hierzulande sogar ein grundlegendes. Und so ein bisschen was kennt man ja auch schon. Moses, Noah, Hiob, alles schon mal gehört, vielleicht auch in irgendwelchen Filmen gesehen. Aber wie war das nochmal genau? Warum muss Hiob so bitter leiden? Was wird ihm alles angetan? Und wie geht die Sache am Ende aus?
Die Bibel könnte man also vielleicht wirklich mal lesen. Wahrscheinlich haben die meisten auch irgendwo ein Exemplar zu Hause im Regal stehen. Nur: Spaß macht das nicht, da reinzuschauen. Schon von außen kündigt sich an, was drinnen zu finden ist. Die Lieblosigkeit des Einbands spiegelt sich in der des Drucks wieder. Bleiwüste, Miniaturbuchstaben, furchtbar enger Satz. Und erst die Erzählung selbst! Schwülstig, langatmig, in der Darstellung belangloser Details ungeheuer penibel. Und ohne jeden Sinn für einen guten Plot wird die Geschichte nicht selten von der falschen Seite aufgezäumt.
Für alle, die solcherart mit der Bibel hadern, haben Philippe Lechermeier und Rébecca Dautremer eine prächtige Neuerzählung vorgelegt. Ein wuchtiger Bildband, groß, schwer, wunderschön.
Es ist eine ganz und gar neue Bibel. Eine künstlerische Nacherzählung. Inhaltlich entspricht sie zwar dem Original, aber Lechermeier hat die Form drastisch verändert. Im Alten Testament setzt er verschiedene literarische Genres ein. Die Geschichte von Kain und Abel verwandelt er in eine Moritat, den Turmbau zu Babel schildert er mittels einer dialogischen Erzählung und das Drama um Josef wird zu ebenso einem – zu einem Bühnenstück.
„Im Alten Testament wollte ich mit der Heterogenität der Texte spielen und habe die Vielfalt der ursprünglichen Geschichten durch eine Vielfalt an Formen ersetzt: märchenhafte Erzählung, Heldenepos, Theaterstück…”, erklärt der Autor. „Ich wollte damit diesen Eindruck von verschwenderischer Fülle vermitteln, den ich beim Öffnen der Bibel empfand.”
Beim Neuen Testament verfuhr er genau umgekehrt, um „aus den einzelnen Evangelien eine flüssige und aufeinander abgestimmte Geschichte zusammenzustellen”. So ist ein poetischer, in Kapitel gegliederter Roman entstanden.
Die Bilder, die Rébecca Dautremer dazu gezeichnet hat, sind von einer fulminaten Kraft, Lebendigkeit und Klarheit. Sie ergänzen den Text, führen ihn weiter, helfen bei der Interpretation. Jona – so klein vor dem tosenden Meer, so hilflos vor dem riesigen Schlund des Wals. Die tapfere Judit und ihre blutige List – zum Abschluss der Geschichte zeigt Dautremer noch einmal ein ganz persönliches, emotionales Bild dieser Frau. Und es wird deutlich, dass es der tiefe Schmerz über den Verlust ihres Mannes ist, der sie so gleichgültig gegenüber ihrem eigenen Leben gemacht hat, dass sie den Mut aufbringt, ihr Volk zu retten.
Die Bibel von Lechermeier und Dautremer ist ein Kunstwerk. Kein Kinderbuch, aber ein Buch, das auch etwas für Kinder ist. Ein schönes Geschenk beispielsweise zur Erstkommunion oder zur Konfirmation – aber auch eines, das man mit Freuden sich selbst machen kann.
Von: Phillipe Lechermeier, mit Bildern von Rébecca Dautremer
Verlag: Coppenrath
Kunst-Bibel
ISBN: 978–3649621164
Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
Format: 25 x 4 x 27,7 cm