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Schwarze Schiffe vor Troja

Das ganze Elend, das ganze Blut, all die Toten – nur weil ein gehörn­ter Ehe­mann, der dum­mer­weise als Bru­der des Groß­kö­nigs die Macht dazu hat, wegen einer per­sön­li­chen Schmach ganze Völ­ker ins Unglück schickt? Bzw., wenn man noch wei­ter zurück geht, wegen drei Tus­sis, die sich um einen Apfel zanken?

Man kann die Ilias reich­lich scheuß­lich fin­den. Von der Zwangs­ehe bis zum Mord an Kriegs­ge­fan­ge­nen folgt ein Ver­bre­chen auf das andere. Und dann wer­den die Kri­mi­nel­len auch noch Hel­den genannt!

Aber: Die Geschichte ist span­nend, facet­ten­reich, das Kamp­fes­glück wogt hin und her, es gibt fein dosierte Fan­tasy-Ele­mente (ein­grei­fende Göt­ter, See­schlan­gen, Dra­chen etc.) und auch was fürs Herz. Außer­dem gehört das Wis­sen vom Kampf um Troja nun ein­mal zum Bil­dungs­ka­non. Zum moder­nen, weil es den Genuss von Wolf­gang Peter­sens und David Benioffs Film „Troja” deut­lich erhöht.* Und zum klas­si­schen, weil die Ilias euro­päi­sche Zivi­li­sa­ti­ons­ge­schichte ist.**

Die Ilias-Nach­er­zäh­lung von Rose­mary Sut­cliff (1920–1992)*** heißt „Schwarze Schiffe vor Troja”. Die FAZ stellt das erst­mals 1993 post­hum ver­öf­fent­lichte Buch in eine Reihe mit den Fas­sun­gen von Gus­tav Schwab, Wal­ter Jens und Franz Füh­mann und lobt es voll­kom­men zu Recht als „erzäh­le­ri­schen Glücksfall”.

Ihr gan­zes Leben lang hat Sut­cliff his­to­ri­sche Stoffe für „Kin­der jeden Alters, von neun bis neun­zig” (die Autorin selbst über ihr Publi­kum) bear­bei­tet und Genera­tio­nen von Lesern damit erfreut. Ihre Ilias ist geschickt ver­dich­tet und beschleu­nigt. Mit direk­ter Spra­che beschreibt sie die Sze­nen anschau­lich – wie etwa hier bei Hek­tors Tod: „Doch bevor er zum Schwert­streich aus­ho­len konnte, bohrte Achill ihm sei­nen Speer ganz durch den Hals, und strau­chelnd und wür­gend ging er zu Boden. ‚Hunde und Vögel sol­len dich in Stü­cke rei­ßen!’ sagte Achill und blickte auf den im Staube lie­gen­den herab. (…) Und sein Atem ent­wich, und seine Augen ver­dun­kel­ten sich, und seine Seele machte sich auf den Weg in das Land der Toten.”

Das ist defi­ni­tiv här­ter als Harry Pot­ter . Aber es ist auch poe­ti­scher. „Helena wie­derum sah vor allem, dass der fremde Prinz jung war. Mene­laos hatte ihr Vater gewählt, nicht sie. Wohl war ihre Ehe recht glück­lich, doch ihr Gemahl war um vie­les älter als sie und die ers­ten grauen Haare zeig­ten sich in sei­nem Bart. Im Gold von Paris’ Bart jedoch, da gab es kein Grau, und seine Augen leuch­te­ten und ein Lachen spielte um seine Mundwinkel.”

Auf Deutsch ist Sut­cliffs Ilias-Nach­er­zäh­lung sowohl im dtv als auch im Ver­lag Freies Geis­tes­le­ben erschie­nen, jeweils in der Über­set­zung von Astrid von dem Borne. Das Taschen­buch ent­hält zusätz­lich noch die Odys­see. Den­noch emp­fehle ich die teu­rere, gebun­dene Freies-Geis­tes­le­ben-Aus­gabe – wegen der phan­tas­ti­schen Aqua­relle von Alan Lee.


Von: Rose­mary Sut­cliff, über­setzt von Astrid von dem Borne, mit Illus­tra­tio­nen von Alan Lee
Ver­lag: Freies Geistesleben
Klas­si­ker ab 12 Jahren
ISBN: 978–3772516610
Gebun­dene Aus­gabe: 128 Seiten
For­mat: 22,8 x 2 x 29 cm

 

 

 

 


Von: Rose­mary Sut­cliff, über­setzt von Astrid von dem Borne
Ver­lag: Deut­scher Taschen­buch Verlag
Klas­si­ker ab 12 Jahren
ISBN: 978–3423713320
Taschen­buch: 320 Seiten
For­mat: 12,4 x 2,5 x 19 cm

 

 

 

 

* Zum Bei­spiel weil man dann die im Film welt­lich gedeu­te­ten mytho­lo­gi­schen Hin­ter­gründe kennt oder sich Brad Pitt auch mal in Mäd­chen­klei­dern vor­stel­len kann .

** Was man so Zivi­li­sa­tion nennt, halt.

*** Sut­cliff erkrankte im Alter von zwei Jah­ren an der Still’schen Krank­heit. Sie musste viele Ope­ra­tio­nen über sich erge­hen las­sen und konnte lange nur auf dem Rücken lie­gen. Sie war viel allein mit sich und ihren Gedan­ken. Und sie lernte erst spät lesen, weil sie nur unre­gel­mä­ßig zur Schule ging. Um ihr die Zeit zu ver­trei­ben, las ihr die Mut­ter viel vor. Anstatt wie andere Kin­der sorg­los mit Alters­ge­nos­sen zu spie­len, hörte Sut­cliff früh die gro­ßen Sagen des Alter­tums ebenso wie Geschich­ten von Autoren wie Dickens oder Kipling. „Kin­dern soll­ten die gro­ßen, oft tra­gi­schen The­men erlaubt sein”, befand sie später.

Categories: ab 12 Jahren
Matti Hartmann: Matti Hartmann ist im Hauptberuf freier Journalist und nebenher Vater von drei Kindern. Oder andersherum. Außerdem Bücherfreund. Und weil sich das alles prima unter einen Hut bringen lässt, wenn man eine Kinderbuchseite betreibt, macht er genau das auch noch.
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