Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling
Geht es jetzt? Nimmt es auf? Test … Test… Moment mal … Klick. Ja, ist drauf. Klingt gerade so, als würde meine Stimme durch eine Haarnadelkurve schlingern. Walput hat gesagt, das Ding sei sechzig Jahre alt. Ich habe gefragt, ob es mit Dampf oder Öl betrieben werde, aber es ist ein ganz normaler Stecker dran. Jetzt muss ich mit meinem Tagebuch anfangen. Mit meinem Tagetonband. Zu Walput habe ich gesagt, ein Tagebuch sei doch was für Mädchen, so wie Gedichte schreiben, und nicht für Jungs. „Für Erwachsene Männer aber schon. Komisch, was?”, meinte er. Und es könne einem helfen, die Gedanken zu ordnen. Dabei weiß ich nicht mal, ob ich noch Gedanken habe. Oder war das jetzt ein Gedanke?
Der Beginn des Jugendromans „Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling” ist symptomatisch für das ganze Buch. Im flotten Plauderton verbindet der niederländische Autor Sjoerd Kuyper Witziges mit tiefgreifenden Gedanken. Es geht um Liebe und Tod, um Jungs und Mädchen, um Fußball und Schönheit, um ein Hotel am Rande des Ruins und – ganz einfach – um die Tücken des Großwerdens. Alles in der Form eines abgetippten Tonband-Tagebuchs, also in den eigenen Worten des jungen Helden verfasst.
Der heißt Kos und ist 13 Jahre alt. Er ist ein begnadeter Fußballer, es ist Mai, es ist warm, das Meisterschaftsfinale steht an, ein Scout von Ajax Amsterdam soll im Publikum sein, und Kos findet: „Es war ein Sonntag, an dem man sicher war, alles zu können. Fliegen zum Beispiel.”
Doch statt des großen Triumphs wartet die Katastrophe. Kos sieht, wie sein Vater am Spielfeldrand zusammenbricht. Herzinfarkt!
Und jetzt geht alles drunter und drüber. Kos’ zittert um das Leben seines Vaters. Mit seinen drei Schwestern, die sich ständig gegen ihn zu verbünden scheinen, muss er das Familien-Hotel über Wasser halten. Und dann ist da noch Isabel, für die er schwärmt und mit der er gerne mehr Zeit verbringen würde.
Das Buch ist rasant, kurzweilig und humorvoll. Kuyper lässt allerhand schräge Typen aufmarschieren und erfindet reihenweise skurille Szenarien für seine Figuren. Das hat teilweise etwas von Slapstick, wenn zum Beispiel Kos’ kleine Schwester mit Obstkiste auf dem Skateboard hinter der Bar herumsaust, um über den Tresen schauen und Rum in Biergläsern ausschenken zu können, während daneben ein totes Kaninchen liegt. Oder wenn Kos’ im Affenkostüm rappend durch die Stadt zieht.
Aber so absurd die Handlung manchmal auch sein mag – die Geschichte gleitet nie in den Klamauk ab. Dafür gibt es zu viele ernste Themen: Neben dem kritischen Zustand des Vaters, der Erinnerungen an den Krebstod der Mutter vor drei Jahren hervorruft, sind da: das wiederkehrende Gefühl, von den Schwestern nicht gewollt zu sein. Die Angst, dass die Mutter auch lieber noch ein Mädchen statt ihn gehabt hätte. Die Unsicherheit im Umgang mit Isabel.
Elegant lässt Kuyper das alles ineinander fließen – und beweist dabei ein irre gutes Gefühl für die richtige Balance.
Schon seltsam, dass Leute, die sterben, andere, die nicht sterben, trösten. Aber so seltsam ist es auch wieder nicht, denn wer weiterlebt, der steht hinterher mit seinem Kummer da, und man selbst ist tot und kriegt nichts mehr mit. Ich finde, mit Sterbenden sollte man schöne Erinnerungen wachrufen, damit sie das Gefühl haben, im Leben alles richtig gemacht zu haben. Wie eine Art letzter großer Applaus von den Zuschauern, kurz vor Spielende.
Von: Sjoerd Kuyper, aus dem Niederländischen von Eva Schweikart
Verlag: Gabriel
Jugendbuch ab 12 Jahren
ISBN: 978–3522303941
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Originaltitel: Hotel de Grote L
Format: 14,1 x 3,2 x 21,8 cm