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Das Tanzbärenmärchen

Als Mar­got Schel­le­mann von der Augs­bur­ger Pup­pen­kiste vor eini­gen Jah­ren anläss­lich ihres Geburts­ta­ges nach ihrer Lieb­lings­rolle gefragt wurde, zeigte sie die Puppe Uraka aus dem „Tanz­bä­ren­mär­chen” und sagte: „Beson­ders viel Spaß gemacht haben mir die skur­ri­len Rollen.” 

Uraka? Aus dem „Tanz­bä­ren­mär­chen”?

Weni­ges, was die Augs­bur­ger Pup­pen­kiste ins Fern­se­hen brachte, kann als Geheim­tipp bezeich­net wer­den. Das „Tanz­bä­ren­mär­chen” von Ulrich Mihr schon. 

1984 erschien es im Thie­ne­mann-Ver­lag, spä­ter noch ein­mal bei Ber­tels­mann, inzwi­schen ist es lei­der nur noch gebraucht zu bekom­men. Es lohnt sich aber, nach einem eini­ger­ma­ßen gut erhal­te­nen Exem­plar zu suchen. Denn das „Tanz­bä­ren­mär­chen” ist ein fes­seln­des, ori­gi­nel­les, span­nen­des, fabel­haf­tes Buch für Kin­der ab 8, die es nicht immer nur nied­lich, son­dern gerne auch ein­mal etwas schau­rig-hexig-schön mögen.

Der Herbst­wind war wie­der ein­mal mit sei­nem Lieb­lings­spiel beschäf­tigt. Er riß die gel­ben Blät­ter von den Pap­peln an der Land­straße und wir­belte sie im Kreis herum wie ein über­mü­ti­ger Mann auf dem Ern­te­dank­fest seine Tän­ze­rin. Die ein­same Land­straße war sein Tanz­bo­den, und sein Rau­schen war die Musik, zu der die gol­de­nen Sche­men aus Blät­tern sich hoben, dreh­ten und sprangen.”

So beginnt die Geschichte der Tanz­bä­ren Atta und Mumma Troll, die gemein­sam mit ihren Bären­füh­rern Jakob und Luigi zum Über­win­tern nach Paris ziehen. 

Zur sel­ben Zeit stand die Hexe Uraka in ihrer Hütte im Pyre­näen-Gebirge und sah zum Fens­ter hin­aus, als ob sie jemand erwarte. Sie blickte über end­lose Wäl­der, über tiefe Schluch­ten mit rau­schen­den Wild­bä­chen und hin­auf zu schrof­fen Berg­gip­feln, die bis in die Wol­ken auf­rag­ten. Schwere Sor­gen schie­nen die Hexe zu pla­gen, denn ab und zu seufzte sie tief.”

Ura­kas Pro­blem: Sie braucht drin­gend fri­sches Bären­fett, um neue Hexen­salbe her­zu­stel­len. Gelingt ihr das nicht recht­zei­tig, muss sie – was für eine Vor­stel­lung – „gut” wer­den! Weil es aber nicht mehr viele Bären gibt, braucht sie Hilfe. Mon­sieur Lerat und der Was­sernöck, die eben­falls von der Hexen­salbe abhän­gig sind, bege­ben sich auf die Jagd…

Sprach­lich aus­ge­feilt, wie ein gutes Drama in Szene gesetzt, mit leb­haf­ten Figu­ren bevöl­kert, ein biss­chen unheim­lich aber gleich­zei­tig so wun­der­bar skur­ril-komisch, dass es nicht ängs­tigt – Mihrs „Tanz­bä­ren­mär­chen” hätte das Zeug zum all­seits bekann­ten und belieb­ten Kin­der­buch-Klas­si­ker gehabt. Warum es statt­des­sen zum Geheim­tipp wurde? Keine Ahnung. 


Von: Ulrich Mihr
Ver­lag: Thienemann
Kin­der­buch ab 8 Jahren
ISBN: 978–3522139106
Gebun­dene Aus­gabe: 240 Seiten
For­mat: 20,4 x 15 x 3,2 cm 
Categories: ab 8 Jahren
Matti Hartmann: Matti Hartmann ist im Hauptberuf freier Journalist und nebenher Vater von drei Kindern. Oder andersherum. Außerdem Bücherfreund. Und weil sich das alles prima unter einen Hut bringen lässt, wenn man eine Kinderbuchseite betreibt, macht er genau das auch noch.
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