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Vom Küken, das wissen wollte, wer seine Mama ist

In den meis­ten rich­tig guten Büchern ste­cken Komik, Tra­gik und Weis­heit gleich­zei­tig, wobei die ein­zel­nen Zuta­ten so fein abge­schmeckt sind, dass sich die bes­ten­falls unter­schwel­lig ver­mit­tel­ten Bot­schaf­ten nicht gar zu plump auf­drän­gen. Das viel­schich­tige Kin­der­buch „Vom Küken, das wis­sen wollte, wer seine Mama ist” erfüllt die­ses Kri­te­rium – und noch ein paar mehr.

Vor­der­grün­dig haben wir es mit einer net­ten, klei­nen Geschichte mit viel „süß”, ein biss­chen „hihi” und jeder Menge „ooch” zu tun. Außer­dem mit ähn­li­chem Auf­bau wie beim Kin­der­buch­klas­si­ker „Vom klei­nen Maul­wurf, der wis­sen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat” und also mit Lern­ef­fekt. Ein nied­li­ches Tier­chen plagt eine drän­gende Frage. Auf der Suche nach der Ant­wort fragt es neu­gie­rig aller­hand andere Tiere, wobei es eine Menge über die Natur erfährt.

Im Unter­schied zum „Maul­wurf” ist die Geschichte „Vom Küken, das wis­sen wollte, wer seine Mama ist” aller­dings eher kunst­voll als knal­lig ange­legt. Das Buch behan­delt ja auch ein noch erns­te­res Thema als die Ver­dau­ung, näm­lich das Leben an sich. Das aber zum Glück ohne Pathos, son­dern in einer wun­der­bar schnör­kel­lo­sen Sprache.

An einem hel­len Som­mer­mor­gen rollte etwas über die Wiese. Rollte und rollte und blieb unter einem Flie­der­busch lie­gen. Es war nicht sehr groß und weiß und glatt.” So beginnt die Geschichte vom Küken, das aus einem ver­lo­re­nen Ei schlüpft und sogleich die lebens­wich­tige Frage stellt: „Wo ist meine Mama?”

Wäh­rend das her­zige Küken nun umher­streift und alle „Bist du meine Mama?” fragt, lernt es, wie Schne­cke, Katze, Frosch und Co. ihre Kin­der bekom­men und wes­halb sie also gar nicht seine Mut­ter sein kön­nen. Was die Erzäh­lung so herr­lich bunt macht, sind die vie­len klei­nen Ein­fälle, Wort­witze und Andeu­tun­gen sowie die Tat­sa­che, dass in die­sem Buch nicht bloß Tiere zur beleb­ten Welt gezählt wer­den, son­dern auch Pflan­zen wie der Kirsch­baum, der Löwen­zahn und die Schaf­garbe. Ledig­lich Grenz­stein und Eimer blei­ben stumm.

Bei genaue­rer Betrach­tung ein biss­chen trau­rig hin­ge­gen ist, wie aus­nahms­los alle Befrag­ten sich selbst für das Zen­trum des Seins hal­ten. „Ssso macht man dasss!”, bestimmt die Biene, nach­dem sie geschil­dert hat, wie die Köni­gin ihre Eier legt. Und die Katze erklärt: „Meine Kin­der wach­sen in mei­nem Bauch. So wie sich das gehört.”

Eine Hilfe sind dem Küken diese Aus­sa­gen nicht – und bis auf den Löwen­zahn kommt auch nie­mand auf den Gedan­ken, dass das arme Küken bei sei­ner Suche mög­li­cher­weise Unter­stüt­zung braucht. Die Autorin ver­steht es aber, diese uns Lebe­we­sen eigene Eng­stir­nig­keit mit Witz statt mit Schwere dar­zu­stel­len – wes­halb sich am Ende auch (fast) alle über das Happy End freuen kön­nen. Großartig!


Von: Julia Dürr (Illus­tra­tio­nen) und Bri­gitte End­res (Text)
Ver­lag: ara­cari ver­lag ag
Bil­der­buch ab 4 Jahren
ISBN: 978–3905945416
Gebun­dene Aus­gabe: 28 Seiten
For­mat: 26,8 x 20,6 x 1,2 cm
Categories: ab 4 Jahren
Matti Hartmann: Matti Hartmann ist im Hauptberuf freier Journalist und nebenher Vater von drei Kindern. Oder andersherum. Außerdem Bücherfreund. Und weil sich das alles prima unter einen Hut bringen lässt, wenn man eine Kinderbuchseite betreibt, macht er genau das auch noch.
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