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Jules Ratte

Einen „alten Esel” nannte man Peter Hacks (1928–2003) schon, oder auch einen „Welt­an­schau­ungs­wü­te­rich”. Der Schrift­stel­ler und Dra­ma­ti­ker, der 1955 von Mün­chen in die DDR aus­wan­derte und deren Ende spä­ter als „Schre­ckens­wende” bezeich­nete, gilt als eine der umstrit­tens­ten Figu­ren der deut­schen Gegen­warts­li­te­ra­tur. Gleich­wohl, darin sind sich seine Kri­ti­ker einig, schrieb er nicht nur form­voll­endete Dra­men, son­dern auch wun­der­schöne, innige Lie­bes­ge­dichte und ganz her­vor­ra­gende Kin­der­bü­cher. 1998 erhielt er darum den Deut­schen Jugend­li­te­ra­tur­preis für sein Gesamtwerk.

Eines sei­ner zwi­schen­zeit­lich ver­grif­fe­nen Bil­der­bü­cher hat nun der „Eulen­spie­gel Kin­der­buch­ver­lag” wie­der auf­ge­legt: „Jules Ratte”, illus­triert von Klaus Ensi­kat. Hacks nimmt darin das Motiv der bücher­fres­sen­den Lese­ratte wört­lich und erzählt in ver­gnüg­li­chen Ver­sen die Geschichte eines Mäd­chens, das eines Mor­gens ent­setzt fest­stellt, dass all ihre gelehr­ten Bücher fort sind – gefres­sen von einer Wan­der­ratte, die sich auf diese Art das gesam­melte Wis­sen ein­ver­leibt hat und nun „von Weis­heit fett” dahockt. Aber Jule ist ja nicht blöd: Sie fängt die Ratte und schlägt ihr einen Deal vor. Hacks schil­dert die Szene so:

Dar­auf sprach die Jule zu dem Tiere:
Du Mut­ter der Verfressenheit,
Wer hilft mir nun, wenn ich studiere?
Wer rät mir bei der Schularbeit?

Von mei­nen Büchern blie­ben Fetzen,
Du sollst sie, denn du kannsts, ersetzen.

Von nun an sou­fliert die schlaue Ratte und Jule hat’s bequem. Kein Wis­sen muss sich das Kind mehr selbst aneig­nen, die Ratte sagt alles vor und erle­digt bei Bedarf sogar die Haus­auf­ga­ben selbst, indem sie ihren Schwanz in Tinte taucht. Ein Traum, könnte man mei­nen. Aller­dings: Da zum Wesen der Wan­der­ratte nun ein­mal die Wan­der­schaft gehört, geht das nicht lange gut – und Jule, die nur dank frem­der Leis­tung zur Vor­zei­ge­schü­le­rin wurde, ist blamiert.

Die Moral die­ses äußerst amü­san­ten und im Übri­gen auch erst­klas­sig illus­trier­ten Büchleins:

Nur eigne Weis­heit macht den Weisen.
Rat­ge­ber kön­nen mal verreisen.
Der kluge Freund läßt dich im Stich.
Dann fragst du wen?

Dann fragst du dich.”

Eine abso­lute Emp­feh­lung für alle Lese­rat­ten und Freunde geschmack­vol­ler Lite­ra­tur. Köstlich!


Von: Peter Hacks (Text) und Klaus Ensi­kat (Illus­tra­tio­nen)
Ver­lag: Eulen­spie­gel Kinderbuchverlag
Bil­der­buch ab 6 Jahren
ISBN: 978–3359024620
Gebun­dene Aus­gabe: 28 Seiten
For­mat: 18,7 x 1 x 27,1 cm
Categories: ab 6 Jahren
Matti Hartmann: Matti Hartmann ist im Hauptberuf freier Journalist und nebenher Vater von drei Kindern. Oder andersherum. Außerdem Bücherfreund. Und weil sich das alles prima unter einen Hut bringen lässt, wenn man eine Kinderbuchseite betreibt, macht er genau das auch noch.
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