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Gordon und Tapir

Gor­don, der pedan­ti­sche Pin­guin, der seine Fisch­kon­ser­ven in Reih und Glied ord­net, sitzt auf dem Klo und greift ins Nichts. Papier alle!

Das ist die Aus­gangs­si­tua­tion von Sebas­tian Meschen­mo­sers Kin­der­buchs „Gor­don und Tapir” – und sie wirft die Frage auf: Hat hier etwa jemand seine eige­nen WG-Erfah­run­gen verarbeitet?

Gut mög­lich! Meschen­mo­ser wohnte tat­säch­lich ein­mal in einer WG, in der das Klo­pa­pier stän­dig auf­ge­braucht war. Aber im Gegen­satz zu Meschen­mo­sers eige­ner WG, in der das Papier immer aus uner­find­li­chen Grün­den ver­schwand, ent­deckt Gor­don sofort die ver­rä­te­ri­sche Spur.

Sie führt ins Zim­mer von Freund Tapir. Dort fläzt der Woh­nungs­ge­nosse in schöns­tem Dschun­gel-Chaos. Früchte sind am Boden ver­streut, und das ver­misste Klo­pa­pier fin­det sich sowohl als Tur­ban auf dem Kopf des unor­dent­li­chen Tie­res als auch in Lia­nen­form von der Decke bau­melnd wie­der. Jetzt reicht’s! Das ist der Anlass für eine ernst­hafte Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen den Mit­be­woh­nern, bei der es unter ande­rem auch um die baro­cke Freun­din Tapirs geht – eine fül­lige Nil­pferd­dame, die stän­dig das Bad blo­ckiert. Der Abwasch kommt selbst­ver­ständ­lich auch zur Sprache.

Tapir wie­derum stört auch so eini­ges an Gor­don – und so lie­gen nach dem Krach beide Tiere in ihren Bet­ten und grä­men sich. Die Lösung, die Meschen­mo­ser dann für seine bei­den Prot­ago­nis­ten fin­det, mag für ein Kin­der­buch ein wenig über­ra­schend sein. Aber so ist das Leben: Eine räum­li­che Tren­nung muss her. Und siehe da: Jetzt funk­tio­niert die Freund­schaft wieder! 

Das alles klingt fast nach einem Buch für große Leute – und gegen­über der „Neuen Züri­cher Zei­tung” räumt Meschen­mo­ser auch ein, dass viel Erwach­se­nen­hu­mor drin steckt. Aber das macht nichts. Kin­dern (wenn sie denn nicht in einer WG groß wer­den) fehlt viel­leicht die Erfah­rung mit den beschrie­be­nen Situa­tio­nen in der kon­kre­ten Aus­prä­gung und bestimmt ver­ste­hen sie nicht jede der zahl­rei­chen Anspie­lun­gen. Aber sie ken­nen ähn­li­che Strei­tig­kei­ten in ande­rem Kon­text und kön­nen den Kern der Geschichte über­tra­gen. Zu viel Nähe ist manch­mal nicht gut, ein wenig Abstand kann hel­fen, eine an sich wun­der­bare Freund­schaft zu ret­ten. Genug Witze, über die sie lachen kön­nen, fin­den sie auch.

Gor­don und Tapir” ist in der Kate­go­rie Bil­der­buch für den Deut­schen Jugend­li­te­ra­tur­prei­ses 2015 nomi­niert. Die Jury zeigte sich vor allem von der künst­le­ri­schen Gestal­tung ange­tan: „Meschen­mo­ser cha­rak­te­ri­siert die bei­den Tiere mit fei­nem und detail­ge­nauem Strich und spielt sein zeich­ne­ri­sches Kön­nen vor allem in den tref­fen­den Kör­per­hal­tun­gen und der hin­rei­ßen­den Mimik der Figu­ren aus”, schreibt sie. „Mit Blei­stift und Bunt­stift erzählt er diese Geschichte über Anders­sein, Tole­ranz und Freundschaft.”

Was noch zu sagen wäre: Das Tar­zan-Pla­kat in Tapirs Zim­mer ist ein Selbst­por­trät Meschen­mo­sers. Und zum Ein­satz als Such­buch eig­net sich „Gor­don und Tapir” dank auf jeder Seite ver­steck­ter Mäuse übri­gens auch.


Von: Sebas­tian Meschenmoser
Ver­lag: Esslinger
Bil­der­buch ab 4 Jahren
ISBN: 978–3480231898
Gebun­dene Aus­gabe: 64 Seiten
For­mat: 19 x 1,2 x 22,3 cm 
Categories: ab 4 Jahren
Matti Hartmann: Matti Hartmann ist im Hauptberuf freier Journalist und nebenher Vater von drei Kindern. Oder andersherum. Außerdem Bücherfreund. Und weil sich das alles prima unter einen Hut bringen lässt, wenn man eine Kinderbuchseite betreibt, macht er genau das auch noch.
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